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Was dazu gesagt werden muss
Hätte Grass nun ein, gemessen an Reich-Ranickis Beurteilung, literarisch hochwertiges Gedicht geschrieben, so müsste Reich-Ranicki mit demselben Inhalt ebenso zufrieden sein, wie er mit dem gleichermaßen ekelhaften Inhalt von Nabokovs "Lolita" zufrieden ist. Dieser gibt ihm keinen Anlass zu ablehnender Kritik. Im Gegenteil. Die "stilistische Könnerschaft" Nabokovs erzielt "die schönste Liebesgeschichte der Weltliteratur" 1). In dieser wird wild verdreht, der Täter zum bemitleidenswerten Opfer, der aus seinem Schmerz zur Erlangung seiner sexuellen Erfüllung oder seiner Nicht-Erfüllung heraus sogar einen Mord begehen darf, das Opfer zum Verursacher und berechnenden Strategen ohne menschliches Antlitz.
Reich-Ranicki will uns aber nicht gestatten, Grass' Gedicht inhaltlich oder gar z. B. als "die schönste Freundschaft der Welt zwischen zwei Nationen (von Iran ausgehend)" zu loben, wenn wir aufgrund der "stilistischen Könnerschaft" einen Grund dafür sähen. Das könnte wohl auch nur jemand in Erwägung ziehen, der fähig ist z. B. Nabokovs "Lolita" als "die schönste Liebesgeschichte der Weltliteratur" zu betrachten, wenn er (nicht erforderlicherweise nachvollziehbare) Interessen hätte, die Israels Zerstörung in gleicher Schwere bedingten. Das hat auch eine Qualität, an die der iranische Präsident nicht heran gekommen ist. Dies berücksichtigt, handelt Reich-Ranicki mit seiner Besprechung von Grass' Gedicht in einer geradezu ekelhaften narzistischen Absicht und hat den Interessen Israels, will ich meinen, schon lange geschadet.
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Was bietet das Gedicht inhaltlich ohne die fokussierte Darstellung Reich-Ranickis? Grass teilt uns seine Befürchtung mit, dass Deutsche, Deutschland, als Helfer, wenigstens in der Rolle als Waffenlieferant eines atomaren Erstschlags gegen Iran beteiligt sein wird. In dem Bewusstsein, dass dieser Erstschlag, den Israel als sein Recht vertritt, ein riesiges Verbrechen gegen das von einem Maulhelden geführte iranische Volk ist, wendet er sich gegen Israel als Verursacher dieses Verbrechens und Gefährder des Weltfriedens. Dies möchte er als freundschaftliche Aus- oder Ansage verstanden wissen, weil er es ansonsten gut mit Israel meint.
1) Zitate: Reich-Ranicki
Quellen:
Eine richtige Entdeckung, in: Der Spiegel, 13 (22.03.2004), 182.
Grass, Günter, Was gesagt werden muss, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH (Hg.), faz.net, 04.04.2012, URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/das-israel-gedicht-von-grass/das-gedicht-von-guenter-grass-was-gesagt-werden-muss-11707985.html (19.04.2012).
Weber, Ingrid, Mißbrauch hat mit Liebe nichts zu tun, in: Weisser Ring, Gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten e. V., 20. Jg., I (1998), 3.
Weidermann, Volker, Es ist ein ekelhaftes Gedicht, Ein Gespräch mit Marcel Reich-Ranicki, aus erzwungenem Anlass, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH (Hg.), faz.net, 08.04.2012, URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/das-israel-gedicht-von-grass/marcel-reich-ranicki-ueber-grass-es-ist-ein-ekelhaftes-gedicht-11710933.html (19.04.2012).
Wikipedia, Die freie Enzyklopädie (Hg.), Lolita (Roman), Bearbeitungsstand: 21.02.2007, URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Lolita_(Roman)&oldid=28111625 (07.03.2007).
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