Das Bielefelder Alte Rathaus feierte 2004 sein 100-jähriges Bestehen. Seine Architektur ist eine Mischung von Renaissance- und spätgotischen Elementen und ist überreich mit Symbolik ausgestattet.
Bielefeld wurde 1214 von Graf Hermann IV. von Ravensberg gegründet, der dem Ort das Stadtrecht und das Recht auf Selbstverwaltung verlieh. Neben der hier gemeinten Altstadt entwickelte sich ab Ende des dreizehnten Jahrhunderts um die Immunität des Marienstifts mit der Marienkirche die Bielefelder Neustadt. 1317 sind Richter, Bürgermeister und Rat der Neustadt urkundlich belegt. Über das Rathaus der Neustadt ist nur soviel bekannt, dass es am Ende der Breiten bzw. Anfang der Burgstraße gestanden hat und einen Torbogen in Nord-Süd-Richtung hatte. In der Altstadt bauten die Bürger am Alten Markt (Foto) 1419 ihr erstes Rathaus.
Zweihundert Jahre lang führten beide Städte ein Eigenleben bis sie sich 1520 endgültig zusammenschlossen. Gemeinsames Verwaltungsgebäude der etwa 3000 Einwohner zählenden spätmittelalterlichen Stadt wurde das Rathaus der Altstadt. In seinem Keller wurde die Hauptwache eingerichtet, das Rathaus der Neustadt fand als Gerichtshaus Verwendung. Bis 1833 fand auch die vom Großen Kurfürst 1678 gegründete Legge, die Leinenprüfanstalt, die den guten Ruf des Bielefelder Leinens begründete, Platz im Rathaus. Daher rührte dessen umgangssprachliche Bezeichnung als 'Leinwandkiste'.
1820/21 wurde das (Altstädter) Rathaus zu einem schlichten Zweckbau vergrößert, in dem Polizei, Verwaltung und Justiz Platz fanden. Dabei wurde der Renaissance-Giebel von 1562 abgerissen, hinter dem sich ein mehrgeschossiges, nicht ausgebautes Dach verbarg. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung im Zuge der Industrialisierung Bielefelds im 19. Jahrhundert (1850: 10.700 Einwohner, 1871: 22.000, 1900: 63.000) war ab 1870 das Kreisgericht in ein eigens errichtetes Gebäude umgezogen. Für Stadt- und Polizeiverwaltung mussten dennoch darüber hinaus bald weitere Häuser in der Stadt angemietet werden. Ein Rathausneubau wurde mehr und mehr unumgänglich.
Wegen der Anfang des 20. Jahrhunderts verlegten Straßenbahnschienen durch die Niedern- und Obernstraße erhielt das Haus an der ehemaligen Giebelseite Arkaden für die Passage der Fußgänger. Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurde es in veränderter Form wiederaufgebaut (Foto): ähnlich vor dem Umbau von 1820/21 erhielt das Haus vor allem wieder ein mehrgeschossiges Dach. Heute beherbergt es das Theater am Alten Markt, das Bielefelder Schauspielhaus, das unter dem Namen "Die Brücke" nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Anfang nahm.
Das neue Rathaus sollte auf dem städtischen Grundstück des ehemaligen Krankenhauses am Neumarkt (später Schillerplatz) entstehen. Am 14. Juni 1902 war Grundsteinlegung in Gegenwart des preußischen Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, von der Recke. Am 17. März 1904 siedelte das Bauamt als Erstes in das neue Gebäude über, Ende August war der Umzug der städtischen Verwaltung abgeschlossen. Daneben war die Polizeiverwaltung, hauptsächlich im Erdgeschoss des Fügels an der Viktoriastraße, links der Haupttreppe, in dem Gebäude untergebracht (heute stellt die Kommunale Galerie in diesem Flur vor allem Bilder bzw. Fotos aus).
Die Stadtsparkasse bezog Räumlichkeiten auf gleicher Ebene im rechten Gebäudeteil, das Standesamt mit Trauzimmer befand sich im ersten Obergeschoss. Dort befinden sich noch heute das Zimmer des Oberbürgermeisters und der Magistratssitzungssaal. Ein Stockwerk darüber tagten die Stadtverordneten in eigenem Sitzungssaal. Verbindungsgänge vom Rathaus zum direkt nebenan liegenden Theater gibt es im ersten Obergeschoss und vom Ratskeller aus. Feierliche Eröffnung des Rathauses war am 12. Oktober 1904.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ein Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. aus weißem Marmor auf der Plattform rechts neben der Freitreppe vor dem Rathaus eingeweiht. Es musste aber schon in den zwanziger Jahren wieder entfernt werden, da der Marmor von so minderer Qualität war, dass die Sicherheit des Standbildes nicht gewährleistet war.
In den Jahren der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft erhielt das Rathaus einen Bunker. Ein überdimensionierter Rathausturm auf dem Dach ist dem Krieg zum Opfer gefallen. Auf der Spitze des Hauptgiebels befand sich außerdem ein Miniatur-Hermannsdenkmal nach dem Vorbild des Denkmals in Hiddesen bei Detmold (Foto).
Seit 1953 steht an der Stelle des ehemaligen Reiterstandbildes das Heimkehrermahnmal (Foto), das daran erinnert, dass sich zu diesem Zeitpunkt noch etwa zehntausend deutsche Kriegsgefangene in Lagern der Siegermächte befanden. 1955 und 1956 sind die Letzten zurückgekehrt.
Spätestens seit der Gebietsreform 1973 (die Einwohnerzahl verdoppelte sich nahezu von 166.000 auf 321.000) war dann ein Erweiterungsbau notwendig, der in zwei Bauabschnitten zwischen 1979 und 1988 als 'Neues Rathaus' errichtet wurde. Die der städtischen Verwaltung zur Verfügung stehende Grundfläche wurde erheblich vergrößert. Das Alte Rathaus gehört weiterhin mit zu den Verwaltungsgebäuden. In obenstehendem Foto ist links neben dem Alten ein Teil des Neuen Rathaus' zu sehen.
Literatur:
Der Rathausneubau der Stadt Bielefeld, Bielefeld u.a. 1904, Faksimile, Bielefeld 2004
Engel, Gustav, Die Stadtgründung im Bielefelde und das münstersche Stadtrecht, hrsg. vom Historischen Verein für die Grafschaft Ravensberg, Bielefeld 1952
Gerke, Günter, Bielefeld - so wie es war, Bd. 1 und 3, Düsseldorf 1974
Neues Rathaus, Broschüre, hrsg. vom Presse- und Verkehrsamt der Stadt Bielefeld, Bielefeld 1984
Weddigen, Peter Florens, Historisch-geographisch-statistische Beschreibung der Grafschaft Ravensberg, 2. Band, Leipzig 1790, Nachdruck o.A.
Witt, Jan u.a., Bielefeld, Gestern und heute, Gudensberg-Gleichen 1997