Geschichte der Grafschaft Ravensberg von ihren Anfängen im 10./11. Jahrhundert bis zum Aussterben der Manneslinie 1346.
1. Bis zum Ende der Regierungszeit Ottos I. (bis 1173)
Zwischen 1015 und 1036 wird der Paderborner Kirche das Biliveld (Bielefeld) übertragen.
Im 11. möglicherweise auch schon im 10. Jahrhundert ist in Borgholzhausen, am Fuße der um 1080 erbauten Ravensburg (Burg Ravensberg) ein Herrengeschlecht ansässig. Sein Name ist nicht bekannt, es nennt sich später nach seiner Burg.
Eine Eigenkirche in Borgholzhausen ist Grablege dieses Herrengeschlechts (Ausgrabungen 1976). Erstmalige urkundliche Erwähnung findet der Name "von Ravensberg" am 25. Dezember 1140 (1141?):
Die Ravensburg bei Borgholzhausen auf einer Lithografie-Ansichtskarte von 1905. Sie war Stammsitz der Grafen von Ravensberg. Links: der mittelalterliche Bergfried und das Forsthaus aus dem 19. Jahrhundert. Rechts: die Ravensburg hat einen der tiefsten mittelalterlichen Burgbrunnen Deutschlands - etwa 100 Meter.
Graf Otto I. von Ravensberg (+ 13. September 1170) ist Zeuge einer Urkunde des Kölner Erzbischofs Arnold I.
Über Otto von Northeims (Hauptvogt von Corvey, + 1083) Töchter Edelinde und Mathilde sind die Ravensberger mit den Grafen von Calvelage (bei Vechta) verwandt. Edelinde ist Gemahlin Hermanns II. von Calvelage, aus der Ehe Mathildes mit Konrad von Werl-Arnsberg (+ 1092) geht u. a. eine Tochter unbekannten Namens hervor, die einen westfälischen Grafen wiederum unbekannten Namens heiratet. Dieser kann ein Ravensberger gewesen sein: die Ausgrabungen in der Kirche in Borgholzhausen förderten das Skelett eines Mannes in bevorzugter Grablage zu Tage, der nach pathologischem Befund um 1100 gelebt hat.
Zwischen 1134 und 1140 (1141?) stirbt der letzte Calvelager, Hermann III., kinderlos. Die Ravensberger erben Burg und Grafschaft Vechta (Oldenburg), die Vogtei über Güter des Klosters Corvey (Osnabrücker Nordlande) und die Grafschaft an der mittleren Ems (Emsgrafschaft, Emslandgrafschaft), zwischen Meppen und Aschendorf, mit der Burg Fresenberg als Reichslehen.
Auch Teile des Heiratsgutes der beiden Töchter Edelinde und Mathilde des Otto von Northeim fallen wenig später an die Grafen von Ravensberg. Es sind dies die Flaesheimer Mark an der Lippe mit dem Haupthof Flaesheim, wo Graf Otto I. von Ravensberg ein Augustinerinnenkloster gründet und Güter in Barmen, die sein Enkel, Graf Ludwig von Ravensberg 1244 (1245?) an das Herzogtum Limburg (im Westen des Reiches, zu einem großen Teil im heutigen Belgien) verkauft.
2. Aufbau der Landesherrschaft unter Hermann IV. (1173 bis 1220)
Die Nichte Kaiser Friedrich I. Barbarossa, Jutta von Thüringen, heiratet Graf Ottos I. von Ravensberg einzigen Sohn Hermann IV. und bringt ihm die von der Gräfin Oda von Stade, Halbschwester der Töchter Edelinde und Mathilde des Otto von Northeim, geerbten Güter zu (Attendorn, Drolshagen, Waldenburg, Güter in Sechtem und Gielsdorf am Rhein bei Bonn). Mit dem Bielefeld lässt sich Graf Hermann IV. von Ravensberg vom Paderborner Bischof im Zuge mittelalterlicher Politik des Nehmens und Gebens belehnen.
Wohl aufgrund seiner verwandschaftlichen Bande zum Kaiserhaus und zum Kölner Erzbischof Phillip von Heinsberg (dieser ist sein Onkel mütterlicherseits), der die Bewegung gegen Heinrich den Löwen schürt, kämpft Graf Hermann IV. von Ravensberg gegen Heinrich den Löwen und bezeugt das Urteil der Fürsten gegen ihn mit seinem Namen.
Dies führt letztlich zur Fehde mit den Tecklenburgern, die auf der Seite Heinrichs des Löwen kämpften: Graf Simon von Tecklenburg fällt, Graf Hermann IV. von Ravensberg wird mit seinem Sohn Otto II. von dem Sohn des Tecklenburger Grafen (a. e. Otto von Tecklenburg) gefangen genommen und muss hohes Lösegeld zahlen.
Während seiner Regierungszeit treibt Graf Hermann den inneren Ausbau des Landes voran, vor allem durch Hagendörfer- und Stadtgründungen (1214: Gründung der Stadt Bielefeld). Er gewinnt erstmalig die Summe aller staatlichen Hoheitsrechte und strebt nach Landeshoheit in seinen Grafschaften.
1215 erbt das Haus Ravensberg die Burg und Herrschaft Vlotho.
Am 22. April 1220 (1221?) stirbt Graf Hermann IV. von Ravensberg. Seine Söhne, die Grafen Otto II. und Ludwig von Ravensberg übernehmen die gemeinsame Regentschaft.
3. Die Teilung der Grafschaft unter Otto II. und Ludwig (1220 bis 1249)
Der Paderborner Bischof Wilbrand von Oldenburg überträgt Graf Otto II. von Ravensberg 1226 (auf Bitten seiner Frau Sophie, der Nichte des Bischofs) das Amt des Truchsessen am Paderborner Bischofshof, einen Forstbann, Vogteien, Zehnte und alle übrigen Güter, die der Graf vom Bischof und der Paderborner Kirche zu Lehen trägt.
Streitigkeiten führen zur Aufteilung der Grafschaft Ravensberg unter den Halbbrüdern Otto und Ludwig, was in Gegenwart des Bischofs Wilbrand am 1. Mai 1226 in Herford beurkunded wird (sog. Herforder Teilung). Ludwig erhält (von Otto überlassen) die Burg Ravensberg, bestimmte Vogteien, zwei an die Burg Ravensberg angrenzende Freigrafschaften, von denen eine nördlich, die andere südlich des Osning (Teutoburger Wald) liegt, ganz Bielefeld (gemeint ist wohl neben den Hagendörfern die im Aufbau befindliche Stadt und möglicherweise die zu bauen begonnene Sparrenburg, das Datum ihrer Bauzeit ist nicht bekannt, ihre erste urkundliche Erwähnung findet die Burg am 5. März 1256), bestimmte Meierhöfe etc. Otto verbleiben Vechta, Emsland und Anteile in Vlotho, v. a. die Burg Vlotho. Er verzichtet (gegen 200 Mark Silber) zugunsten des Mitbesitzers, des Grafen von Sayn, auf die linksrheinischen Gebiete Sechtem und Gielsdorf.
In dem Teilungsvertrag sind nur die strittigen Güter und Rechte verhandelt oder jene, über die es bislang keine Regelung gab. Vorausgegangen war insbesondere die Zuteilung der Herrschaft Vlotho an Otto. Dieser nennt sich mit Ratifizierung des Erbes fortan Otto von Vlotho und Vechta.
Das Siegel Graf Bernhards von Ravensberg (1328 - 1346) gilt als eines der schönsten Reitersiegel des Mittelalters. Die Umschrift lautet: + SIGILLVM : BERNARDI : COMITIS : DE : RAVENSBERGHE +. Übersetzt: Siegel Bernhards, des Grafen von Ravensberg. Schild, Helm- und Turnierdecke weisen das gräfliche Sparrenwappen auf.
Weitere Besitzungen z. B. sind wegen der Fehde (s. o.) durch Vergleich zeitweilig an den Grafen von Tecklenburg übertragen oder verpfändet und gelangen 1231 zurück in den Besitz der Grafen von Ravensberg: die Güter in Drolshagen, Kappeln, Barmen und Bersenbrück, verschiedene Lehen u. a. Ferner wird die Anerkennung des Grafen von Tecklenburg als Lehnsherr der Grafen von Ravensberg aufgehoben. Miterben von Attendorn, Drolshagen und Waldenburg sind auch hier die Grafen von Sayn, gegen die sich Graf Ludwig von Ravensberg, dem die Gebiete offenbar zugesprochen waren, nicht durchsetzen kann.
1244 gelingt es ihm (Ludwig) seinen Schwager, den Paderborner Bischof Bernhard zur Lippe, zu bewegen, ihm die Vogteirechte über das Stift Schildesche zu übertragen. Mit diesem gab es seit Gründung der Stadt Bielefeld Streit, da sich die Grafen in den umliegenden, stiftseigenen Wäldern am Meierhof Limberg (Lintberg) und am Johannisberg zum Aufbau ihrer Stadt schadlos hielten.
Aus Sorge um sein Seelenheil stiftet Graf Otto 1231 u. a. den Haupthof Bersenbrück in den Osnabrücker Nordlanden nebst Kirche mit Stiftungsvermögen zur Gründung eines Zisterzienserinnenklosters. Um sich mit dem Grafen von Tecklenburg auszusöhnen, veranlasst er 1238 eine Eheberedung (Eheversprechen) seiner einzigen, im Kindesalter stehenden Tochter Jutta (* 1225 od. später, vor 1239) mit dem Junggrafen Heinrich von Tecklenburg (+ zw. 22. April u. 12. Mai 1248). Ludwig von Ravensberg beantwortet dies mit einer erneuten Fehde gegen den Grafen von Tecklenburg. Er unterliegt und muss im Frieden von Süntelbeke (Süntelbeck) bei Osnabrück am 4. Juni 1246 u. a. seiner Nichte Jutta, Tochter seines nunmehr vor zwei Jahren, am 1. April 1244, verstorbenen Halbbruders, den in der Eheberedung vereinbarten Besitz von Vlotho bestätigen (wozu er wegen seiner Abfindung 1226 keine Vollmacht besitzt). Rechtlich zwar verheiratet, kommt die Ehe durch den unerwarteten Tod des Jungrafen Heinrich von Tecklenburg nicht zustande, Vlotho verbleibt auf Grundlage des Vertrages von Süntelbeke aber bei Tecklenburg.
Jutta heiratet schließlich den Edelherrn Walram von Monschau (+ 1262) und zieht mit ihm und ihrer Mutter, Ottos Witwe Sophie, geborene Gräfin von Oldenburg, in die Eifel. Hier fällt 1252 der Entschluss, Ottos in der Teilung zugefallenen Besitz zu verkaufen. Dies ist der tiefst einschneidende Wendepunkt in der Geschichte der Grafschaft Ravensberg. Das Bistum Münster ergreift die Gelegenheit zum Preis von 40.000 Mark Silber den Besitz zu kaufen und entwickelt sich in der Folgezeit zum größten Territorium Westfalens.
Am 15. Januar 1249 stirbt Graf Ludwig von Ravensberg. Nachfolger wird sein Sohn Graf Otto III. Sein Bruder Ludwig wählt die geistliche Laufbahn und wird Bischof von Osnabrück.
4. Die Zeit Ottos III. (1249 bis 1305)
1249 sind die Brüder noch unmündig. Ihr Vormund, Edelherr Bernhard II. zur Lippe (der Kinder Vater Ludwig ist in erster Ehe verheiratet mit Gertrud zur Lippe, beider Mutter ist Adelheid von Dassel (+ 1262/63)), sucht die Gelegenheit zu nutzen und besetzt noch im selben Jahr die Ravensburg. Nach einjähriger Belagerung der Burg wird er 1256 von den Ministerialen wieder vertrieben.
Otto III. von Ravensberg (+ 1305) ist ein erfolgreicher Kriegsherr. Er fehdet gegen Gesmold, erzwingt Waffenhilfe, gegen Osnabrück um die Nutzung der großen Versmolder Mark.
Vlotho gelangt durch Heirat von den Tecklenburgern an den Schwager seines Onkels, Heinrich von Oldenburg, genannt der Bogener. Heinrich lässt die etwa zwei- bis dreihundert Jahre alte Burg auf dem Amtshausberg abreißen und dort eine neue errichten. Nach dem Tod Heinrichs von Oldenburg 1270 gelangt die Burg in den gemeinsamen Besitz Ottos III. von Ravensberg und seines Vetters und Nachbarn Vlothos, Heinrich zum Berge.
Bergfried der Limburg im Nordzipfel der Grafschaft.
Otto hat vermutlich alte Erbansprüche auf Vlotho geltend gemacht; Heinrich zum Berge ist Käufer der Hälfte der Burg, was nicht gegen Otto geschehen sein kann, möglicherweise spielen anderweitige Erbansprüche der zum Berge eine Rolle, die damit abgegolten werden.
Mit der nun entstandenen Konstellation ist das benachbarte Bistum Minden nicht einverstanden und sucht Unterstützung beim Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg. Die Kölner Erzbischöfe besitzen seit 1190 u. a. die Rechte des Oberlehnsherrn über Vlotho. Dem Erzbischof gelingt es, 1290 Heinrichs Sohn (Bruder?) Gerhard zum Verkauf seiner Hälfte zu bewegen. Gegen die zu erwartenden Angriffe der Ravensberger kann Köln den Burggrafen Hermann von Stromberg zur Verteidigung als Burgmann gewinnen. Tatsächlich fehdet Otto III. gegen Hermann und nimmt ihn auf offenem Felde gefangen.
Köln wird damit aus der Burg Vlotho gedrängt, Heinrich von Stromberg kauft sich durch Abtretung seiner Herrschaft Börninghausen mit der Burg Limberg frei.
Eine Fehde gegen die Lipper endet 1302 nach sechsjähriger Haft Simons zur Lippe im Bucksturm zu Osnabrück mit der Auflage, dass die Lipper ihre Burg Enger zerstören müssen. Diese haben sie seinerzeit sehr wahrscheinlich von Heinrich dem Löwen für ihre tatkräftige militärische Unterstützung erhalten.
1293 errichtet Otto III. in der Marienkirche in Bielefeld, der Hauskirche und Grablege der Ravensberger, ein Stift für zwölf Kanoniker. Hier ist er in einem von der Kölner Dombauhütte gestalteten Hochgrab mit seiner Frau Hedwig zur Lippe beigesetzt.
Sein Bruder Ludwig ist von 1297 bis zu seinem Tod Bischof von Osnabrück. Er stirbt an den Folgen einer Verwundung die ihm bei der Auseinandersetzung auf dem Halerfeld (nordwestlich von Osnabrück) am 8. November 1308 in einer Fehde gegen die Tecklenburger versehentlich von einem der Seinen zugefügt wurde.
5. Das Ende der Ravensberger (1306 bis 1346)
Graf von Ravensberg wird nun Otto IV., Sohn Ottos III. und Hedwigs zur Lippe. Seine Regierungszeit verläuft unspektakulär. Er stirbt 1328. Sein Bruder Bernhard folgt ihm nach. Dieser hatte seinerzeit die kirchliche Laufbahn eingeschlagen und bereits die höheren Weihen empfangen. Daher durfte er nicht mehr heiraten. Die Grafschaft geht nach seinem Tod 1346 über die Erbtochter Margarethe, Tochter Ottos IV. und Margarethes von Windeck, an das Haus Jülich-Berg: sie heiratet den ältesten Sohn Gerhard.
Schlussbemerkung
Das Territorium der Grafschaft bleibt unter jülicher, dann klevischer, später brandenburgisch-preußischer Herrschaft bis in die Zeit der napoleonischen Besetzung (1807 bis 1813) erhalten, geht während derer im Königreich Westphalen auf und dann in der preußischen Provinz Westfalen, die heute überwiegend den östlichen Teil des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen bildet. Den Titel "Graf von Ravensberg" trägt noch der letzte König von Preußen, der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II.
Hintergrundfoto: Pflastersteinmosaik des Ravensberger Wappens vor der Johanniskirche Bielefeld in der Siegfriedstraße: 69,0 KB.
Literatur, Quellen:
Grossmann, Dr. Karl, Geschichte des Amtes Vlotho, Festschrift anlässlich der Einweihung des neuen Verwaltungsgebäudes in Vlotho am 28. Oktober 1963, Vlotho, 1963
Engel, Gustav, Die Stadtgründung im Bielefelde und das münstersche Stadtrecht, Historischer Verein für die Grafschaft Ravensberg, Bielefeld, 1952
Engel, Gustav, Landesburg und Landesherrschaft an Osning, Wiehen und Weser, Pfeffersche Buchhandlung, Bielefeld, 1979
Engel, Gustav, Zur Frage der Beziehungen der Grafschaft Ravensberg zu Münster, ihrer vermuteten zuphtenschen Heirat und ihres angeblichen northeimischen und billungischen Erbes, in: 65. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, Jahrgang 1966/67, Bielefeld, 1968
Historischer Verein für die Grafschaft Ravensberg (Hrsg.), Ravensberger Regesten, Westfalen Verlag, Bielefeld, Dortmund, Münster, 1985
Meise, H., Die Burg Ravensberg, Broschüre, Vertrieb durch Bücherstube Elsner, Halle/Westfalen, 2001 vorliegende Auflage
von der Horst, Karl Adolf Freiherr, Die Rittersitze der Grafschaft Ravensberg und des Fürstentums Minden, Nachdruck der Ausgabe 1894, Verlag H. Th. Wenner, Osnabrück, 1970